Hans Lauter in Waldheim:
Hans Lauter erzählt über eine Begebenheit nach der Befreiung vom Faschismus:
Nach meiner geglückten Flucht aus der Haft in Radebeul im April 1945 und der ebenso erfolgreichen Dienstverweigerung beim Volkssturm lief ich zur Roten Armee über. So kam ich am 8. Mai wieder in meine Heimatstadt Chemnitz. Alles war in der Innenstadt zerstört, das öffentliche Leben desolat und die Menschen ohne Hoffnung. Damit die Chemnitzer Bevölkerung nicht verhungerte, wurden auf Weisung von Stalin Lebensmittelreserven der Roten Armee verteilt. (Das Lebensmittel Depot in Siegmar wer von den Amerikanern geräumt worden). Ich stellte mich sofort der Partei zur Verfügung. Genosse Ernst Webra, der Sicherheitsaufgaben zu lösen hatte, wollte mich zur Polizei einsetzen, aber das lag mir nicht. Der damalige politischer Sekretär der KPD in Chemnitz, Karl Winter, setzte mich als Sekretär für Agit-Prop. ein. Ich war für die Parteischulung verantwortlich. In Thalheim war von der Roten Armee uns ein Gebäude zur Verfügung gestellt worden. Das nutzten wir für die Weiterbildung unserer Funktionäre. Viele Aufgaben galt es zu lösen (Hunger beseitigen, antifaschistisch-demokratische Ordnung aufbauen, Nazis aus den öffentlichen Ämtern entfernen...) Wichtig war, dass die Menschen wieder Hoffnung schöpften, Mut bekamen, eine neue demokratische Gesellschaftsordnung zu errichten. Einmal versammelten sich alte Nazis vorm Rathaus, dem Sitz der Kommandantur und der demokratischen Selbstverwaltung und forderten mehr Lebensmittel. Der damalige Polizeipräsident Fredo Ritscher klärte: ich zeige einmal, wie man das macht, stellte sich unter der Rathausfigur: Mit militärischen Ton ließ er die Nazis mit: Achtung, Stillgestanden! antreten und erklärte, Rationen Lebensmittel gibt es keine! Daraufhin wurde die Ansammlung mit „Wegtreten“ aufgelöst.
1945 wurde die Mitgliedschaft zur KPD ab 1933 anerkannt.
Wie wurdest du Mathematiker und Historiker?
Ich habe mich immer für Mathematik interessiert. Das Gymnasium konnte ich nicht besuchen; ich musste in einer Tischlerei dazu verdienen. Aus eigenen Mitteln habe ich mir ein Mathematik-Lehrbuch gekauft. Im Zuchthaus Waldheim war ich eine Zeitlang Einrichter. Dazu brauchte ich zur Berechnung Bleistift und Papier. Ich war der einzige Häftling, der das hatte. Das habe ich für meine Weiterbildung genutzt. Durch praktische Arbeit habe ich viel dazu gelernt.
Nach der Einzelhaft im Zuchthaus Waldheim wurde ich mit einem Kriminellen zusammen gelegt. Der war Geldfälscher und Mathematiker von Beruf. Von dem habe ich mir eine ganze Menge mathematische Kenntnisse angeeignet, die kamen mir dann in der Arbeit zu passe. Auch mit der englischen Sprache habe ich mich beschäftigt.
Aus der Bibliothek habe ich mir viele Bücher ausgeliehen. Es gab auch marxistische Literatur aus Österreich, diese Verlage kannten die Nazis nicht und hatten diese Bücher auch nicht beseitigt. Mein sauberes Schriftbild habe ich mir angeeignet, denn das Heft wurde dem weggenommen, der unsauber schrieb. Mein Mathematikheft aus dem Zuchthaus habe ich noch; das hat ein Mithäftling gerettet. Ich habe auch eine eigene Landkarte angefertigt, woraus hervorging, wo die Front verlief.
Meine Schulbildung war das Leben selbst.
Im Emsland war ich in einer Baracke an einem Tisch mit zwei Bosniern zusammen, die hatten in Wien studiert und waren Antifaschisten. Eine Fülle von Kenntnissen über die Geschichte des Balkan habe ich mir da angeeignet.
Meine weitere Bildung erfuhr ich nach der Befreiung im Franz-Mehring-Institut über die internationale Arbeiterbewegung und besuchte den 2. Lehrgang der Parteihochschule in Liebenwalde dann nach Kleinmachnow.
Am Franz-Mehring-Institut wurde ich dann zum Prof. berufen und lehrte Geschichte der internat. Arbeiterbewegung. Viele Kenntnisse habe ich mir im Selbststudium angeeignet.