Chemnitz nach dem Krieg

1945: Kriegsendphasenverbrechen in Chemnitz und Umgebung

März 1945

In der „Aktion Gitter“ wurden im Gestapobezirk Chemnitz ca. 100 Gegner des Nationalsozialismus verhaftet und im Gefängnis auf dem Kaßberg gefangengehalten. Bei den Bombenangriffen der Angloamerikanischen Luftstreitkräfte am 5. und 6. März 1945 wurde ein Flügel des Gefängnisses getroffen und ein Teil der Häftlinge konnte ausbrechen. Das Ende des Krieges vor Augen gestatteten einige Justizangestellte Chemnitzer Inhaftierten nach Hause zu gehen, um bei Löscharbeiten zu helfen oder nach den Angehörigen sehen zu können. Dies erfolgte auf das Ehrenwort, danach zurück in die Haftanstalt zu kommen. In der allgemeinen Panik konnten tatsächlich jedoch nur wenige die Stadt verlassen oder in der Stadt Zuflucht finden. Das Ehepaar Edith und Kurt Kretschmar kamen nach Niederschmiedeberg, Kurt Wach und Franz Hübsch entkamen nach Hainichen bzw. in das Elbsandsteingebirge. Nach der Reorganisierung der Gestapodienststelle und ihrer Beamten begannen die Polizisten der Chemnitzer Polizeireviere mit der Suche nach den Entwichenen. Bei freiwilliger Rückmeldung wurde Straffreiheit zugesagt. Zum Beispiel: der Kommunist Albert Hähnel meldete sich nach Löscharbeiten in der eigenen Wohnung und Hilfe im Wohngebiet bei der entsprechenden Dienststelle. Er wurde zur Arbeit bei einem Bäcker verpflichtet. Er tauchte nicht unter, da angedroht wurde Frau und Kind in ein Konzentrationslager einzuweisen. Am 19. März wurde der Kommunist Max Brand, der ebenfalls nicht untergetaucht war schwerst krank in seiner Wohnung verhaftet. Beide wurden später in das Gefängnis des Polizeipräsidiums Hartmannstraße verbracht. Bis zum 26.März waren 14 der politischen Untersuchungshäftlinge gefaßt. Bereits am Mittwoch des 14. März 1945 hatte der Verantwortliche für Hochverratsdelikte in der Chemnitzer Gestapo, Kommissar Wackerrow seine beiden Kommissare Munkelt und Obst den schriftlichen Befehl erteilt diejenigen der Inhaftierten auszusondern, die „rückfällig“ waren. Ausgesondert wurden; der Zimmermann Max Brand, der Bäcker Albert Hähnel, der Rundschleifer Albert Junghans, der Steinmetz Walter Klippel, der Hilfsmeister Kurt Krusche, der Schlosser Alfons Pech und der Schlosser Willy Reinl.

Am Nachmittag des 27.März wurden die Gefangenen auf dem Hof des Polizeigefängnisses mit Handschellen gefesselt und mit LKW zur unteren Schule in Neukirchen verbracht. (Ausweichquartier der Chemnitzer Gestapo nach der Bombardierung im März 1945 und Zerstörung des Hauptsitzes in Chemnitz) Zuvor war ein Sonderkommando mit der Exekution der Gefangenen beauftragt worden. (Dieses Sonderkommando bestand seit 1941 unter der Führung des SS Obersturmführers Schluppers und den beiden Kriminaloberassistenten Großer und Schmidt in der Turnhalle Neukirchen/Jahnstraße - dort waren bereits mehrfach Gefangene des Lagers Neukirchen erschossen wurden.) Die Kommissare Obst und Munkelt waren für die Chemnitzer Gestapo beauftragt der Exekution beizuwohnen und zu überwachen. Nach der Exekution meldeten sie den Vollzug.

Gegen 19.00 Uhr am 27. März mußten drei der Gefangenen eine Erdgrube vertiefen, in die sich anschließend alle Gefangenen mit dem Gesicht zum Boden legen mußten. Mittels Maschinenpistolen und nachfolgenden Fangschüssen wurden die sieben Gefangenen ermordet. Die Grube wurde sofort geschlossen. Nur wenige Tage später wurden den Angehörigen Sterbeurkunden ausgehändigt, mit der Mitteilung, daß die Gefangenen auf der Flucht erschossen worden wären.

Anfang April wurden die Leichen exhumiert und mit einem Lastwagen der Deutschen Post gemeinsam mit 19 weiteren Leichnamen zur Feuerbestattungsstätte nach Werdau verbracht. Dort wurden sie am 7. und 8. April eingeäschert und in einem Massengrab beigesetzt.

April 1945

In der Nacht vom 13. zum 14. April wurde erstmals ein Chemnitzer Stadtteil von amerikanischer Artillerie beschossen. Es handelte sich um den Stadtteil Rabenstein. Um der damals noch selbständigen Vorstadt Siegmar-Schönau Beschuß und Zerstörung zu ersparen fanden sich fünf Bürger, die versuchten den Bürgermeister zu einer Übergabe der Stadt an die amerikanischen Einheiten zu bewegen. Der Bürgermeister Paul Jacob unterschrieb eine entsprechende Vollmacht und der Fleischermeister Erich Gatsche und der Kommunist Otto Schmerbach, der die englische Sprache beherrschte, übergaben diese den amerikanischen Truppen in Wüstenbrand. Als Reaktion forderten die Kommandeure der Kampfgruppe A der 4. US Panzerdivision eine weiße Beflaggung in der Stadt sowie die Abgabe sämtlicher Waffen. Nach Rückkehr der Parlamentäre erfolgte die Erfüllung der beiden Forderungen. Die Waffen wurden vorm Rathaus zusammengetragen. Daraufhin kam am 15. April ein Panzer der US Armee (Sherman) vor das Rathaus in Siegmar-Schönau. Die Waffen wurden zerstört. Danach fuhr der Panzer zurück. Die freiwillig zur Übergabe an die Alliierten bereite Bevölkerung der Stadt war somit jedoch ohne Schutz. Ein Artilleriebeschuß unterblieb.

Ein Wehrwolfkommando aus dem Lazarett Pelzmühle (Reservelazarett bei Siegmar) überwältigte den Parlamentär Otto Schmerbach in einem kurzen Feuergefecht. Otto Schmerbach wird in das Lazarett in Schönau (Schule) verbracht. Otto Schmerbach wird danach inhaftiert. Am 20. April 1945 wird er durch das Standgericht der 464. Division von Oberfeldrichter Dr. Thost zum Tode verurteilt. Am 21. April wird das Urteil auf der Schießstandanlage im Zeisigwald vollstreckt. Die Leiche verblieb ca. 2 Monate in der Leichenhalle des Reservelazarett 1 auf der Zeisigwaldstraße.

Die Wehrwolfaktivitäten in Siegmar-Schönau forderten ein weiteres Todesopfer. In der Nacht zum 1. Mai 1945 erschoß der Oberfeldwebel Schulz auf Befehl von Wehrwolfführer Leutnant Habicht Frau Georg aus Siegmar-Schönau auf dem Gelände des Güterbahnhofes in Siegmar.

Das Ehepaar Georg war wegen des Zeigen der weißen Flagge durch Angehörige des Wehrwolf beobachtet wurden. Das Ehepaar wurde im Vorfeld am 24. April vom Standgericht in Chemnitz bei der Verhandlung wegen des Vorwurfs der Feindbegünstigung freigesprochen.

In den ersten Maitagen 1945 wurden in der Chemnitzer Vorstadt Harthau neun Menschen erschossen und verscharrt. Nach dem 5. März 1933 hatte eine SS Einheit ihr Quartier in der Villa des Fabrikanten Pfauter in Harthau. Am 5. März wurden die bis heute unbekannten Gefangenen im Harthauer Wald am Weg Richtung Berbisdorf ermordet und in einem Bombentrichter vergraben. Wenige Tage nach dem Kriegsende fanden Einwohner die Leichen und bestatteten diese auf dem Friedhof in Harthau.

Eberhard Hübsch

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